Zivilgesellschaft als Partner nach der Corona-Krise?

  • 29 March 2020
  • jdroop

Die Anregung, einen Bürgerrat einzuberufen, liegt nach der Beratung im Hauptausschuss auf dem Schreibtisch der Verwaltung. Hier wird geprüft, wie das umzusetzen sei. Wenn es denn dazu kommt.

In der politischen Diskussion hieß es seitens der CDU, man wolle mit dem Bürgerrat keinen „zweiten Stadtrat“. Als vermeintlich negatives Beispiel für digitale Beteiligung wird auf den Bürgerhaushalt verwiesen, der gescheitert sei. Die SPD-Fraktion erklärt, bereits jetzt brächten sich mehr Menschen in den Fraktionen ein, ein Bürgerrat sei überflüssig.

Reflexhafte Reaktionen der Abwehr wie diese sind bekannt. Neues macht Angst. Insbesondere in einer Zeit der gesellschaftlichen Wandlung, die keine einfachen Antworten mehr zulässt. Der Ruf nach Vertrautem und starken Führungspersönlichkeiten liegt da bei vielen Ratsleuten nahe.

Ein Bürgerrat ist aber kein zweiter Stadtrat. Der Bürgerrat arbeitet mit zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern, unterstützt Politik beim Finden von Lösungen, bleibt aber unabhängig. Ergebnisse aus einem Bürgerrat können Empfehlungen sein, die höchst repräsentativ aus der Bevölkerung heraus erarbeitet wurden. Sie kanalisieren das, was an Bedarfen, Ideen und Visionen die Menschen vor Ort bewegen. Die Ergebnisse münden also genau da: in den Räten.

Die ablehnende Haltung der CDU und SPD verwundert: Gerade hat der Rat einstimmig die Hände gehoben für die Bewerbung an einem Smart City-Konzept des Bundes. Darin steht explizit, man wolle neue Beteiligungselemente als digitale Öffentlichkeit einsetzen und demokratische Teilhabe fördern. Gerade ein Bürgerrat ist ein geeignetes Handwerkszeug, um solche Prozesse der Meinungsbildung zu moderieren, digital gekoppelt mit echter Präsenz und für alle offen und transparent.

Auch die Kritik am Bürgerhaushalt aus den Jahren 2012 bis 2014 ist erstaunlich. Im Bewerbungsverfahren der Stadt Gütersloh 2015 um Fördermittel als Modellkommune für E-Government war gerade der Bürgerhaushalt ein Pluspunkt: die Stadt nannte ihn als gutes Beispiel und Erfahrung mit digitaler Beteiligung.

Außer Acht gelassen wird auch: Die Menschen wollen mitreden, insbesondere in ihrer Kommune. Und das verbrieft und kontinuierlich, nicht nur dann, wenn es den politischen Fraktionen für einzelne Projekte passt. Gerade jetzt ist die Zeit, in der nach dem Lockdown in Deutschland neu über unser Zusammenleben verhandelt werden wird. Wir werden über Profit für einzelne sprechen müssen, wie etwa im Gesundheitswesen, das ausschließlich nach ökonomischen Grundsätzen ausgerichtet ist. Wir müssen über Bildung sprechen, die unseren Anforderungen längst nicht mehr genügt. Wir werden über Vergesellschaftung von technischen Innovationen nachdenken. Nicht, weil wir den Kommunismus ausrufen wollen, sondern weil allein die Gemeinschaft der Vielen in der Lage ist, Krisen wie Pandemien und auch Migrationsbewegungen wie im Jahr 2015 zu lösen und weil dazu das (technische) Knowhow von allen gebraucht wird. Wir müssen das Gemeinwesen neu aufstellen.

Eines dieser überwältigenden Beispiele ist der zivil getriebene Hackathon der Bundesregierung unter der Schirmherrschaft des Kanzleramtministers mit #WirvsVirus. Teilgenommen haben bundesweit über 28.000 Menschen, Coder, Entwickler, Kreative, Techies und Nerds. Es sind fast 2.000 Ideen zusammen gekommen, vom 3D-Druck für Beatmungsschläuche bis hin zur Visualisierung von Daten zum Ausbreitungsmaß der Corona-Erkrankungen kommunal. Es sind Ideen wie diese, die nur aus der Gemeinschaft der Vielen heraus geboren werden.

Wenn jetzt die Gütersloher Kommunalpolitiker für Smart City stimmen, stimmen sie genau für diese neue Denke der Zivilgesellschaft. Genau solche Formate sind gemeint: wie ein Bürgerrat, der sich bei der Frage „Wie wollen wir 2030 in Gütersloh zusammenleben?“ mit diesen großen Fragestellungen auseinander setzen will. Eigentlich das, was Politik immer will: der Bevölkerung zuhören und sie vertreten. Wer sich diesen neuen digitalen und auch direktdemokratischen Formaten versperrt, wird den Anschluss an eine zunehmend emanzipierte Zivilgesellschaft verlieren und an Glaubwürdigkeit einbüßen.

Die Stadt Gütersloh könnte ferner schon jetzt mit Leichtigkeit Anschluss finden an diese neuen Handwerkszeuge der digitalen Beteiligung. Etwa mit dem Format Politik bei uns der Open Knowledge Foundation Deutschland e.V., das die Entscheidungen aus den politischen Gremien digital dort sichtbar macht, wo konkret sich die Entscheidungen im Ort auswirken. Transparent und für die Menschen nachvollziehbar. Genutzt wird dazu die OParl-Schnittstelle der bestehenden Ratsinformationssysteme, um die darin befindlichen öffentlichen - und nur die öffentlichen - Daten der Kommune abzurufen und aufzubereiten. Auch ein OpenData-Portal für offene Daten fehlt in der Stadt. Diese Daten aber sind die Grundlage für digitale Anschlussfähigkeit an neue Erfindungen und die Belebung der Demokratie im digitalen Zeitalter. Beides sind übrigens zivilgesellschaftlich getriebene Offensiven, die die Landesregierung in NRW seit Jahren unterstützt und favorisiert. Nur: In Gütersloh ist das noch nicht umgesetzt.

Wer sich die Bürgerschaft in Krisenzeiten als Treiber für unkonventionelle und direktwirksame Solidarität und Gemeinschaftsaktionen für das Gemeinwohl wünscht, kann nicht wollen, dass sie nach Ende von Krisen bei der politischen Partizipation zuhause bleiben soll. Wenn wir wie jetzt zudem einen Digitalisierungsschub erleben, sollte Politik voran gehen und diese Bewegung für eine Stärkung der Demokratie in Vielfalt und Toleranz nutzen. Ein Bürgerrat wäre dafür wie geschaffen, vor allem, wenn es um die Ideen und Impulse für die nächsten Jahre unseres Zusammenlebens geht. Denn da geht noch mehr als bisher.

Dr. Anke Knopp


Neue Westfälisch, Gütersloher Zeitung 27.03.2020 (online):

Bürgerrat in Gütersloh gefordert: Sollen die Bürger künftig mehr mitbestimmen?


Nach Ansicht der Initiative um die Politikwissenschaftlerin und frühere Bürgermeisterkandidatin Anke Knopp sollte sich der Bürgerrat mit der Frage auseinander setzen „Wie wollen wir 2030 in Gütersloh zusammen leben?" | © Symbolfoto/ Pixabay

Ein Antrag der Initiative Demokratie wagen sieht die Gründung eines neuen Gremiums vor. Vor allem die CDU ist strikt dagegen.

Rainer Holzkamp, 27.03.2020 | Stand 27.03.2020, 17:04 Uhr

Gütersloh. Mitten in der Corona-Pandemie werden auch Überlegungen angestellt, wie es danach weitergeht. Der Zukunftsforscher Horst Opaschowski sagte unlängst, jetzt bilde sich eine Selbsthilfegesellschaft aus der Einsicht, aufeinander angewiesen zu sein. Eine größere Mitmach-, Zusammenhalts- oder Mitbestimmungsgesellschaft wäre ein Gewinn aus der Krise. „Die Politik kann dann nicht mehr machen, was sie will.“ Für konkrete direktdemokratische Beteiligung setzt sich aktuell die Gütersloher Initiative Demokratie wagen! ein. Sie fordert die Einrichtung eines „Bürgerrates“ - und stößt bei manchen Kommunalpolitikern auf Skepsis.

Nach Ansicht der Initiative um die Politikwissenschaftlerin und frühere Bürgermeisterkandidatin Anke Knopp sollte sich der Bürgerrat mit der Frage auseinander setzen „Wie wollen wir 2030 in Gütersloh zusammen leben?“ - und Antworten darauf geben.

Losverfahren soll Teilnehmer bestimmen

Die Teilnehmer des Gremiums sollten durch ein Losverfahren bestimmt werden. Außerdem soll der Bürgerrat überschaubar groß, aber so zusammengestellt sein, dass er die Gesellschaft repräsentativ abbildet. Eine professionelle Moderation und die verständlich aufbereitete Information durch Experten sollten sicherstellen, dass auch komplexe Sachverhalte beraten werden könnten. Alle Interessengruppen würden angehört.

Zur Begründung ihres Antrages schreibt die Initiative: „Die Zukunft wird in den Kommunen entschieden. Ein Aushandeln und mögliche Antworten finden sich in der Bürgerschaft selbst. Auf dieser Ebene wollen die Menschen ihr Lebensumfeld mitgestalten und ihren aktiven Beitrag leisten.“ Durch einen Bürgerrat nehme die Politik die Bedarfe und Zukunftswünsche der Bevölkerung direkter wahr und könne ihre Entscheidungen auf dem Weg hin zu einer Stadt der Klimaneutralität neu justieren. Zugleich wurde darauf verwiesen, dass in Oberhausen, Görlitz, Berlin oder Bregenz derartige Räte bereits fest verankert seien.

"Ein zweiter Stadtrat - das geht nicht!"

Insbesondere bei der CDU stieß der Antrag auf heftigen Widerspruch. Anscheinend solle ein zweiter Stadtrat gegründet werden, sagte Detlev Kahmen im Hauptausschuss, „Das geht nicht.“ Es gebe außerdem bereits jetzt „wunderbare Beteiligungsformen“. Konkret nannte der Sprecher die Bürgerforen im Zusammenhang mit der künftigen Nutzung der Mansergh Barracks an der Verler Straße. Jedoch würden manche Angebote kaum genutzt. Kahmen nannte den sogenannten Bürgerhaushalt vor einigen Jahren als ein Beispiel für solche Flops.

Für die SPD sagte Siegfried Bethlehem, seine Fraktion teile das Ansinnen, die Mitbestimmung zu stärken. Allerdings sollte die Leistungsfähigkeit der repräsentativen Demokratie nicht klein geredet werden. Zugleich wies Bethlehem darauf hin, dass sich immer öfter Bürger mit ihren Ansichten direkt in der Fraktion einbrächten.

Politik sei nicht undemokratisch, meinte Hans-Peter Rosenthal (B‘90/Die Grünen). Bei konkreten Themenstellungen sollten die Bürger schon eingebunden werden. Letztlich müsse aber der Stadtrat entscheiden.

"Eine politische Debatte darüber ist sinnvoll"

Auf Zustimmung stieß die Initiative bei der BfGT. Fraktionsvorsitzender Norbert Morkes sagte, er habe das Thema bereits im Bürgermeisterwahlkampf 2009 angesprochen. Es sei sinnvoll eine politische Debatte darüber zu führen.

Gegen die Stimmen der CDU wurde die Verwaltung beauftragt, eine Vorlage zu dem Thema Bürgerrat zu erarbeiten und dann zur Diskussion im Ausschuss zu stellen. Das wird aber nicht so bald geschehen. „Wir haben den Schreitisch voll mit anderen Sachen“, sagte die Erste Beigeordnete Christine Lang.

Neue Westfälische, Gütersloh, 2.4.2020:

Die Glocke, Gütersloh, 14.04.2020: