Säulen der Kulturlandschaft

  • 11 March 2024
  • jdroop

Ist die Betriebsübernahme der Weberei durch die Stadt Gütersloh eine „feindliche Übernahme“? Vieles spricht dafür.

Als 1979 die Idee zum Bürgerzentrum „Alte Weberei“ entstand, war die Stadthalle gerade im Bau. Diese Halle entsprach damals den Anforderungen des etablierten bürgerlichen Kulturbetriebs. Sie war konzipiert für klassische Konzerte, Gesellschaftstanz, Kongresse, Vorträge und einiges mehr, wie z.B. Saalvermietung an heimische Unternehmen. Entsprechend wurden auch das Ambiente und die Infrastruktur angelegt. Kosten spielten eine untergeordnete Rolle.

Die Weberei wurde von einem bunten Bündnis gesellschaftlich engagierter Menschen geradezu als der Gegenentwurf dazu erdacht. Hier ging es in freier Trägerschaft in erster Linie um soziale, politische und kulturelle Teilhabe. Kommunikation stand über allem. Bevölkerungsgruppen aller Couleur sollten angesprochen und aktiv eingebunden werden, egal, welchen Alters, Ethnie, sozialer Status oder Bildung. Es ging um das gemeinsame Erleben von Musik, Tanz, Theater, Lesungen, Comedy, Flohmärkte u.a. in ungezwungener Atmosphäre, niedrigschwellig und kostengünstig. 40 Jahre lang hat sich in Gütersloh dieses Gegenüber von freier und städtischer Kulturarbeit getragen - zum Vorteil und zur Freude der Bürgerinnen und Bürger. Nun will es der Kulturdezernent beenden.

Seit 40 Jahren praktiziert die Weberei ihr Konzept erfolgreich. Dies wurde durch hohes Engagement aller Beteiligten erreicht, die sich als Teil der örtlichen freien Szene verstanden und noch verstehen, dies jedoch stets unter prekären Arbeitsbedingungen.

Das Programm ist dabei ständigen Änderungen unterworfen, denn es wird auch von Besucher*innen mitgestaltet. So entstanden im Laufe der Zeit immer neue soziale und kulturelle Initiativen, z.B. Crossnight, Cable Street Beat, die kleine Bühne im Kesselhaus, das Theateratelier der Weberei oder MuKKe. Die Poetry Slammer haben ihre Gütersloher Heimat in der Weberei. Die Armutskonferenz gründete sich in der Weberei. Gewerkschaftsgruppen nutzen die Weberei als Tagungs- und Treffpunkt. Die Nachfrage nach Räumen als Orte der Begegnung in einer wachsenden Stadt wurde immer größer. Auch die Initiative „Demokratie wagen!“ fand hier ihren Ursprung. Es ist die Stadtgesellschaft, die sich hier Ausdruck und Geltung verschafft in ihrer ganzen Vielfalt.

Die Stadt ignoriert in ihrer Ankündigung zur Neuausrichtung diese Aspekte. Sie reduziert die Weberei auf die Rolle als Kultur- und Raumanbieter mit Gastronomie. Offensichtlich haben die Verantwortlichen in der Verwaltung die Bedeutung von Soziokultur nicht verstanden.

2023 legte die Stadt ein Positionspapier „Freie Szene und Soziokultur in Gütersloh“ vor. Es ist Teil der Kulturentwicklungsplanung (KEP). In der freien Szene ist die Weberei von Beginn an der Big Player. In dem städtischen Papier kommt sie jedoch kaum vor: Mit den Webereimachern wurde nicht gesprochen, ihre Arbeit wurde nicht gewürdigt. Lediglich der Kritik an ihr wurde Raum gegeben. Wenn die Weberei keine Rolle in der KEP einnimmt, wie soll sie dann eine bedeutende Säule der Kulturlandschaft bleiben? Der Widerspruch ist deutlich!

In diesem Jahr sollten ursprünglich umfangreiche Renovierungsarbeiten am Gebäude der Weberei stattfinden - bei laufendem Betrieb. Die Arbeiten waren terminiert, budgetiert, mehrfach öffentlich kommuniziert, aber vom Baulastträger Stadt Gütersloh nicht durchgeplant, keine Handwerker disponiert. Sie wurden auf unbestimmte Zeit verschoben. Dieses „Versäumnis“ ist unglaubwürdig, die Verschiebung wurde viel zu kurzfristig mitgeteilt und die Entschuldigung seitens der Stadt war halbherzig. Der Umstand führt nun zur Eskalation zwischen Stadt und Bürgerkiez gGmbH und wird zur Beendigung des Vertragsverhältnisses genutzt, obwohl die Geschäftsführung der Weberei ihre Bereitschaft zur Weiterführung erklärt. Das Subsidiaritätsprinzip wird ausgesetzt. Steckt dahinter Absicht?

Stattdessen wird nun ein „Arbeitskreis“ aus Vertretern der Stadt und des Kulturausschusses gebildet, der ein einvernehmliches Konzept zur künftigen soziokulturellen Arbeit im Gebäude der Weberei entwickeln soll. Einvernehmen mit wem? Politik und Verwaltung bleiben unter sich. Weitere Vertreter der Stadtgesellschaft und der freien Szene sind in dem Prozess nicht vorgesehen. Die Erfahrungen aus 40 Jahren soziokultureller Arbeit werden über Bord geworfen - schlimmer noch: gar nicht erst eingeholt!

Ob die Bürgerkiez gGmbH bis Ende 2025 durchhält, bleibt abzuwarten. Wann ein Neustart erfolgt, ist offen. Ab 2026 wird erst mal renoviert. Ohne Termindruck durch einen Betreiber wird das dauern. Eine lange Schließungszeit steht uns bevor. Unter welcher Leitung die Weberei wiedereröffnet, ist die große Frage. Andreas Kimpel ist dann wahrscheinlich schon in Rente. Er hinterlässt seiner Nachfolgerin oder seinem Nachfolger als Kulturdezernent eine unnötige Baustelle. Und der Stadt nimmt er womöglich für immer einen Ort der Begegnung. Kein Homecoming für Schülergenerationen am 23. und 24. Dezember als Anker für die Heimatstadt mehr.

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