Kritische Betrachtung zum Bürgerrat “Gütersloher Modell”

  • 18 August 2021
  • jdroop

Der Bürgermeister Norbert Morkes legt heute sein Konzept für einen “Bürgerrat” vor und benennt diesen “Gütersloher Modell”. Dabei reklamiert er die Grundidee des Bürgerrates für sich. Er habe diesen bereits vor 15 Jahren gefordert. Bisher aber liegt nichts Konkretes von ihm dazu vor, außer die Nutzung des Schlagwortes “Bürgerrat” - und nach 15 Jahren hier jetzt der Vorschlag für ein “Gütersloher Modell”.

Es geht hier aber nicht um die Urheberschaft, sondern um das Format. Längst hat Mehr Demokratie e.V. das Konzept “Bürgerrat” zu einer nationalen Umsetzungsreife gebracht, die weit über das Namedropping von Herrn Morkes hinaus geht. An diesem Konzept von “Mehr Demokratie” orientieren wir uns als Demokratie wagen - und lehnen den Vorschlag von Morkes als nicht-durchdacht ab.

Vorschlag für einen Bürgerrat von Demokratie wagen!
Für das "Gütersloher Modell" von Norbert Morkes liegt noch keine Graphik vor.

Warum wird ein Konzept zum Bürgerrat, welches sich andernorts bereits bewährt hat und durch Erfahrungen in der Anwendung bereits einen hohen Reifegrad bewiesen hat, in Gütersloh ins “kleinste mögliche Verfahren” reduziert? Hat Herr Morkes Angst, keine Mehrheit für die Originalidee zu bekommen und begrenzt er jetzt seinen “Bürgerrat” auf ein Format, das vermeintlich keinem wehtut und nach Scheitern schnell wieder von der Bühne verschwindet?

Die Verwaltung hat nunmehr 1,5 Jahre gebraucht, um den Bürgerantrag von “Demokratie wagen” inhaltlich in eine Vorlage zu übersetzen. Was dabei herausgekommen ist, ist Minimalismus. Mit dem Vorschlag wird geradezu ein roter Teppich für das Scheitern von Bürgerbeteiligung ausgerollt.

Morkes kommt von einem durchdachten Konzept zu einer Lightversion, die geradezu mutlos ist. Und das vorgelegt von einem Bürgermeister, der mit Transparenz und Bürgerbeteiligung als Wahlkampfthemen ins Amt gekommen ist.

Beim "Gütersloher Modell" bleibt der Eindruck, die Menschen werden mit Krümeln abgespeist, während das ganze Brot sichtbar aber unerreichbar im Schaufenster liegt.

Mit dem Bürgerrat ist ein zentraler Punkt berührt: Das Zusammentreffen von Repräsentativität und Bürgerbeteiligung. Daher müssen die Spielregeln ganz klar sein. Denn: Politik möchte das alleinige Vertretungsrecht für sich reklamieren. Die Bürgerschaft möchte Beteiligung. Zwei Pole berühren sich. Daher muss ganz klar formuliert werden, was genau die Bürgerschaft in einem Bürgerrat “darf” - und was nicht.

Transparenz des Ablaufs

Beteiligungsvorhaben bestehen aus vielen einzelnen Schritten. Über jeden muss klar und verständlich informiert werden. Die Beteiligten wollen wissen, welche Abläufe und Fristen es gibt. Nach welchen Regeln und Kriterien wird entschieden? Wer hat warum welche Rolle im Verfahren? Wie sehen die einzelnen Standpunkte aus? Welche Überprüfungsmöglichkeiten für Abläufe und Ergebnisse gibt es? Alle Schritte müssen nachvollziehbar dokumentiert und veröffentlicht werden.

Der Bürgerrat im “Gütersloher Modell” ist nur skizzenhaft in seinem Prozessverlauf beschrieben worden. Es bleiben zu viele Unwägbarkeiten, und Ungenauigkeiten, die später im praktischen Umsetzen zu Problemen und Reibung führen werden, weil erst im Tun sichtbar wird, wo die beiden Pole Reibung erzeugen und wo sich die Bürgerschaft nicht ernst genommen fühlt.

Transparenz heißt hier vor allem auch: Informationen verständlich, nachvollziehbar und glaubwürdig zu gestalten. Dazu gehört auch der freie Zugang zu Informationen über Abläufe, Sachverhalte, Fakten, Daten, Vorhaben und Entscheidungsprozesse. Das fehlt im Modell “Gütersloh”

Es sollte eine Begegnung auf echter Augenhöhe schaffen. Dazu gehören fundierte Informationen und die Einbeziehung von Experten, die von außen kommen, dies bereits IM Beratungsprozess.
Stichwort “Aufbereitungsprozess”: Hier wird nicht formuliert, WER den macht und nach welchen Kriterien - und wie wird das gespiegelt, d.h., wer von den TN gibt grünes Licht dafür? Bei Bedarf sollen Experten hinzugezogen werden: Wer sucht die Experten aus und wer entscheidet, wann und in welcher Form die in den Prozess involviert werden? Es geht also nicht allein um die stilistische Aufbereitung, sondern auch um eine inhaltliche Anpassung.

Der Prozess wird nicht auf Augenhöhe geführt, sondern es erfolgt eine einseitige Einflussnahme der Auftraggeber, die wegführt von dem Ziel “Augenhöhe” und die die Handlungsfähigkeit wieder nur an Politik und Verwaltung koppelt.

Zudem ist das Ziel unklar: Werden “Handlungsempfehlungen” erarbeitet oder nur ein “Stimmungsbild” eingefangen? Das sind qualitative Unterschiede in ihren Auswirkungen, ihrer Rechenschaft und Relevanz. Es fehlt an Verbindlichkeit für das Verfahren selbst sowie für den Umgang mit den Ergebnissen. Fehlende Festlegung sind also Auslegungssache und erzeugen in der Regel Reibung.

Zudem sind die Themenvorschläge sind schwammig:
#Auf dem Weg zu weniger Individualverkehr in der Stadt. = Was heißt das? Wären damit auch Fahrrad und Fußgänger gmeint?

#Auf dem Weg zu mehr Klima- und Umweltschutz in der Stadt. = Mehr Klimaschutz ist nicht das gleiche wie Klimaneutralität.

Es ist nur eine Ein-Tages-Veranstaltung, aber wie soll das Feedback formuliert werden, wenn nur ein Tag der Konsultation angesetzt ist? Die Gruppe kann auch nicht einfach “nur” einen Sprecher wählen, das Ergebnis müsste die Gruppe insgesamt am Ende gemeinsam abstimmen. Sonst habe ich als TN wieder nur delegiert.

Die Ergebnissicherung ist fragwürdig und an bisher keiner Stelle formuliert. Die Dokumentation und Transparenz (allgemein verfügbar im Netz?) sind nicht geklärt.

Der Anspruch an Transparenz wächst mit dem Grad der Beteiligung. Je mehr sich die Bürger engagieren können, desto umfangreicher sind auch die Prozesse. Transparenz nutzt nichts, wenn Vertrauen der Bürger in die Abläufe fehlt. Problem: Werden die Bürger umfassend informiert - oder wird etwas weggelassen? Sind die Infos auch verständlich, oder nur fachlich? Problematisch ist auch: Fake-News-Zeitalter und Verschwörungstheorien sind ein Thema! Es steht zu befürchten, dass es Einträge dieser Art in den Beratungsprozess gibt. Wer hält dagegen?

Es wurde mit dem “Gütersloher Modell” ein “kleiner Rahmen” gewählt, der dann ggf. bei Gelingen “wachsen” kann. Wie soll das gehen und wer legt das weitere Vorgehen fest? Im Antrag steht, wenn es gut oder schlecht läuft, kann man das Verfahren nachträglich anpassen. Wer aber sollte die Manöverkritik leisten? Hier finden sich keinerlei Angaben dazu. In der uns gestern zugestellten Version findet sich nicht einmal ein Satz dazu, dass überhaupt Manöverkritik öffentlich vorgesehen wäre. Manöverkritik darf nicht nur in Verwaltung und Politik stattfinden, sondern muss auch in der Bürgerschaft stattfinden können. Dazu braucht es Kriterien des Gelingens oder des Scheiterns - die müssten vorab geklärt werden. Fehler sind erlaubt, jedoch muss bedacht werden, dass ein solcher Prozess ständig kommuniziert werden muss, insbesondere, wenn er so iterativ angelegt ist, sonst geht die Legitimation in den Augen der Bürgerschaft verloren. “Herumwurschtlen, bis es passt” als Konzept - das funktioniert nicht.

Es wird stark auf die Kosten hingewiesen. Demokratie aber ist nicht umsonst zu haben. In einer immer komplexer werdenden Welt braucht es neue Formate zur Belebung der Demokratie. Es braucht mehr Zugänge und Teilhabe von Menschen, die man sonst nicht erreicht. Daher dürfen die Kosten kein Ausschlusskriterium sein. Zudem wäre Geld vorhanden, wenn man den Bürgerrat im Rahmen von Smart City einbindet, hier sind Millionen Zuschüsse vorhanden.

Sollte UNSER thematischer Vorschlag zum Zuge kommen: “Auf dem Weg zur Klimaneutralität” bedeutet dies eigentlich: Der Bürgerrat müsste eingebunden werden in das Smart City Konzept der Stadt. Hier ist ausdrücklich auch Bürgerbeteiligung erwünscht. Das damit bereits ausreichend vorhandene Budget wäre also auch für den Bürgerrat einsetzbar.

ZITAT “Digitale Agenda GT”:
“Gütersloh will mit digitalen Strategien die Daseinsvorsorge leistungsfähiger und das Leben nachhaltiger und sozialer gestalten. Die gleichberechtigte Teilhabe und das Zusammenleben nach demokratischen Werten soll gestärkt werden. Die Steigerung des Grundvertrauens in die lokale Verwaltung und Politik – darin vor allem liegt die Chance. Neue Möglichkeiten zur Bewältigung städtischer Herausforderungen stärken die Handlungsfähigkeit, schaffen Vertrauen in die Kräfte der Demokratie und fördern und stärken den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Jeder Einzelne hat die Möglichkeit, sich an dem gesellschaftlichen Wandel zu beteiligen und kann sich so noch besser mit den Zielen für Gütersloh identifizieren.” (Digitale Agenda Gütersloh, Seite 3)
https://ratsinfo.guetersloh.de/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZU1WBeZY-3t3...

Ein weiterer Grund der Verzahnung mit Smart City GT: Sollte es das Thema “auf dem Weg zur Nachhaltigkeit” werden, kann Nachhaltigkeit NUR in Zusammenhang mit Digitalisierung diskutiert werden.

Nachhaltigkeit ist eine der großen Transformationen, die durch die Digitalisierung erst möglich gemacht werden (Veränderung von Arbeit, Wirtschaft, Nutzung neuer Rohstoffe, Veränderte Produktionsverfahren). Nur wenn es gelingt, digitale Umbrüche am Ziel der Nachhaltigkeit auszurichten, kann das Ziel “Nachhaltigkeit” an sich überhaupt erreicht werden. Stichworte: #Digitalisierung nutzen, um das Klima zu schützen #Digitalisierung kann Nachhaltigkeit aber auch gefährden. #Sozialer Zusammenhalt gefährdet, digitaler Wandel führt zu mehr Ungleichheit, verhindert Zugang zu Arbeit, zu Wasser etc. #der WBGU nennt das “humanistische Vision für eine nachhaltige Weltgesellschaft = ausgehöhlte Demokratien und digitale Autokratien vernichten Wertehaltungen

Nachhaltigkeit digital unterstützt bedeutet: Schutz des Planeten einhalten (Klima, Natur, Böden, Wasser); Sozialen Zusammenhang sichern; letztlich auch ein neuer Humanismus als vernetzte Weltgesellschaft, in der alles miteinander verbunden ist.

Evaluation

Ein Projekt wird an seinen Ergebnissen gemessen. Die Entscheider müssen daher darüber informieren und Rechenschaft ablegen, was erreicht werden konnte und was nicht. Zu einer umfassenden Rechenschaftslegung gehört eine unabhängige Evaluation. Die wurde nicht mitgedacht im Gütersloher Modell.

Wir empfehlen daher: Bitte ein Votum für einen Bürgerrat im Original, als bewährtes und erprobtes Konzept. Bitte vernetzt denken und Teilhabe in Form eines Bürgerrates mit dem Thema Nachhaltigkeit und dem Smart City Konzept zusammenfügen.

Öffentliche Beschlussvorlage:
https://ratsinfo.guetersloh.de/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZYMVRXYaWUxC...

Presseberichte im Anhang

AnhangGröße
PDF Icon Neue Westfälische 19.08.2021509.69 KB
PDF Icon Die Glocke 19.08.2021764.69 KB