Gütersloh verliert den Anschluss

  • 3 November 2014
  • jdroop

Zukunftsfähig wird Gütersloh so nicht, die digitale Agenda fasst in Gütersloh keinen Fuß.

Am Donnerstag, 30.10.14 tagte der Ausschuss für Wirtschaftsförderung und Immobilien (AWI). Auf der Tagesordnung stand die zukünftige Versorgung mit schnellem Internet - die Breitbandversorgung. Vorgestellt wurde der „Masterplan“, eine Bestandsaufnahme der vorhandenen Infrastruktur zum Breitbandausbau mit Glasfaserkabeln für ein schnelles Internet und daraus abgeleitete mögliche Handlungskonzepte. Erarbeitet hat dies im Auftrag des Kreises Gütersloh und seiner angehörenden Städte und Gemeinden die Firma MICUS Management Consulting GmbH.

Geschäftsführer Dr. Martin Fornefeld stellte die ortsgenauen Ergebnisse für die Stadt Gütersloh vor. Koordiniert wird das durch die Infokom, ein Zweckverband, dem auch Gütersloh angehört.

Die Ergebnisse im MICUS-Bericht:

Wesentliche Teile des Stadtgebietes seien durch das rückkanalfähige Kabelnetz von UnityMedia (UM) mit einer angeblichen Bandbreite von >100 Mb/s ausreichend versorgt. Nur für die Randgebiete, Neubausiedlungen und Gewerbegebiete bestehe Handlungsbedarf.

Mit anderen Worten: Der Breitbandausbau mit Glasfaserkabel wird demnach in großen Teilen unserer Stadt aus Kostengründen für mindestens 10 Jahre verschoben, bis sich dafür neue wirtschaftlich interessante Möglichkeiten ergeben. Bis dahin überlässt man das Geschäftsfeld dem privaten Kabelnetzprovider UnityMedia, dem man quasi für diese Frist eine Monopolstellung einräumen will.

UnityMedia legt die Zahlen nicht offen, was die Versorgung der Haushalte angeht. Sie nennen nämlich nur "homes passed" und nicht "homes connected". Auch MICUS hat eine Verpflichtungserklärung gegenüber dem Telekommunikationsanbieter unterzeichnet, die konkreten Daten nicht öffentlich zu machen.

Wer einen Internetanschluss von UM haben möchte, wird nicht selten Erschließungskosten von ca. 300-600€ zahlen müssen, da UM zwar Leitungen in der Straße hat, diese aber nicht immer bis ins Haus verlegt sind. Genaue Daten über voll erschlossene Häuser bekommt man nicht. Aber wer würde heute noch die hohen Kosten für einen Neuanschluss an veraltete Technik tragen wollen?!

UM hat das Kabelnetz gegen Ende der 90er von der Deutschen Post übernommen. Seit dem wurde in Gütersloh offensichtlich kein Meter Straße neu erschlossen worden. Viele Bewohner von den Neubaugebieten der letzten 20 Jahre können daher gar kein Internet bei UM beziehen. Allerdings wurde das alte Kabelnetz im Core verbessert und z.B. rückkanalfähig gemacht, bzw. für höhere Bandbreiten ausgebaut. Auch wurden die Kabelnetz-Cluster verkleinert, um mehr Bandbreite anbieten zu können. Flächendeckend und zukunftsweisend ist das Netz jedoch nicht.

Ein Kabelnetz ist außerdem ein sogenanntes "shared medium" (teilen von Leistungen), vergleichbar mit einer UMTS-Zelle. Die angegebene maximale Bandbreite gilt also nicht für den einzelnen Anschluss, sondern für einen kompletten "Cluster" (ein Verbund an Kabeln, die mehrere hundert bis tausend Haushalte versorgt), also für ganze Siedlungen. Je mehr Haushalte in einem Cluster angebunden sind, desto weniger Bandbreite bleibt dem einzelnen Teilnehmer. Viele UM-Kunden klagen jetzt schon über knappe Bandbreite, besonders in den Abendstunden, wenn viele im Internet unterwegs sind. Und die Internetnutzung der Gesellschaft steigt exponentiell.

Als Alternative zu UM denkt MICUS an einen Bieterwettstreit mit den anderen agierenden Internetanbietern, die aus den vorhandenen Netzen das wirtschaftlich Machbare herausholen sollen, die aber schon in der Vergangenheit nicht in Breitbandinfrastruktur investiert haben. Genau diese rein wirtschaftliche Betrachtungsweise, von der lediglich die Kommunikationsanbieter profitieren, hat es bisher verhindert, dass sich in Gütersloh, wie in ganz Deutschland, ein schnelleres (modernes) Internet etablieren konnte.

Für die Außenbereiche unserer Stadt schlägt MICUS alternative Technologien vor: Richtfunk, Satellit und den Überbau der Kabelverzweiger (KVZ). So wird nur mit dem "Wirtschaftlichkeits-Hammer" argumentiert und das spielt den privaten Providern in die Hände, die nicht an die Zukunftsfähigkeit von Kommunen denken. Das Geschäftsmodell dieser Provider steht jedoch vor einem nahen Wirtschaftlichkeitsende, weil die alte Kupfertechnik den steigenden Bedarfen nicht mehr gerecht werden kann. Deshalb sollte man Gütersloh die Chance auf Glasfaser nicht verhageln.

MICUS streicht heraus, dass VDSL mit Vectoring, dem Konzept der Telekom, nur eine "Brückentechnologie" ist - langfristig muss die Glasfaser her. Doch beim Kabelnetz fehlt diese Einsicht und man überlässt der UM die Stadt. Heute mögen Bandbreiten von 100 Mb/s (wenn man sie überhaupt bekommt) noch ausreichen, doch ein Blick in die Entwicklung der letzten 10 Jahre erklärt schnell, dass wir in wenigen Jahren damit wieder abgehängt wären.

Mit "G.Fast" und "DOCSIS 3" stehen schon die Nachfolgetechnologien der jetzigen Übertragungstechniken in Kabel- und Kupfernetzen bereit, doch technisch bedingt wird dieser Ausbau sehr teuer und wird nur wenigen Menschen erreichen. Stattdessen jetzt in einen Glasfaserausbau zu investieren bedeutet für die Kommunen, auf eine zukunftsweisende Technik zu setzen. Mit der Glasfaser ist heute schon 100x mehr Bandbreite möglich.

Folgte Gütersloh dem Vorschlag von MICUS, würde die Stadt in der Konsequenz abgehängt werden vom zukünftigen schnellen Internet und man überließe sie in einem entscheidenden Punkt den wenig innovativen Kräften des Marktes. Diese Kräfte sind derzeit nur daran interessiert, ihre veraltete Technik noch möglichst lange vermarkten zu können. Damit aber würde eine zentrale Gestaltungsmöglichkeit für Politik und Verwaltung ungenutzt verstreichen.

Eine kommunale Aufgabe

Ein anderer Aspekt des Themas ist weniger technikorientiert, denn das ist auch eine politische Frage. Für viele Experten gehört die Bereitstellung von Telekommunikationsdiensten längst zur allgemeinen Daseinsfürsorge, genauso wie Strom-, Gas- oder Wasseranschlüsse. Damit würde auch die Versorgung mit Glasfaser zu einer kommunalen Aufgabe werden. Das hat heute keinen Gesetzesrang, es hindert unsere Stadtmütter und -väter aber niemand daran, sich diese Betrachtungsweise zu eigen zu machen.

Die Bedingungen zum Bereitstellen der nötigen Infrastruktur mit Leerrohren und Glasfaserkabeln in kommunaler Hand sind in Gütersloh denkbar günstig, das hat auch MICUS zugegeben. Mit den Stadtwerken, der Netzgesellschaft und auch Bitel sind kompetente städtische Eigenbetriebe vorhanden. Sie müssten allerdings von politischer Seite dazu beauftragt werden, entweder durch die einzelne Kommune oder auch in Kooperationen auf Kreisebene. Einige Mitglieder des AWI sind ja gleichzeitig in Personalunion im Kreistag vertreten und könnten entsprechend aktiv werden. Es wäre jetzt sinnvoll, über die stärkere Vernetzung alternativer Anbieter nachzudenken, deren Geschäftsmodelle deutlicher den Anforderungen einer modernen Kommune entsprechen, also lokal denken und wirtschaften.

‚Demokratie wagen!‘ hat schon im Juli diesen Jahres mit dem Bürgerantrag zur Breitbandversorgung dieses Thema mit allen Vorteilen benannt, die sich daraus ergeben würden. Die Mitglieder des AWI haben die Tragweite einer solchen Entscheidung jedoch nicht erkannt. Die Art der Fragen an den Vortragenden der Fa. MICUS machte deutlich, wie wenig sie sich bisher mit dem Thema befasst haben. Nur die Verwaltung möchte das Thema mit ins neue Jahr nehmen, um in Ruhe eine Strategie entwickeln zu können. Und kein Politiker mahnt zur Eile! Dieses abwartende Verhalten "wir machen das doch" könnte böse ins Auge gehen, wenn dann demnächst die Zukunftsader "schnelles Internet" an Gütersloh vorbei läuft.